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Aktivierung zuvor vom Finanzamt bestrittener Steuererstattungsansprüche

Umsatzsteuer-Erstattungsansprüche in Zusammenhang mit dem Betrieb von Geldspielautomaten, die vom Finanzamt bestritten worden waren, sind zum ersten Bilanzstichtag zu aktivieren, der auf die vorbehaltlose Veröffentlichung des BFH-Urteils vom 12. Mai 2005 im BStBl II vom 30. September 2005 folgt.

Die Aktivierung von Forderungen richtet sich bei buchführenden Gewerbetreibenden nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG). Gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 HGB sind Gewinne nur zu berücksichtigen, wenn sie am Abschlussstichtag realisiert sind.

Nach dem (imparitätischen) Realisationsprinzip, das einen Grundsatz ordnungsmäßiger Buchführung i.S. des § 5 Abs. 1 EStG darstellt, darf ein Gewinn grundsätzlich erst ausgewiesen werden, wenn er durch Umsatz (Veräußerung oder sonstigen Leistungsaustausch) verwirklicht ist; Vermögensmehrungen dürfen nur erfasst werden, wenn sie disponibel sind. Gewinnrealisierung tritt dann ein, wenn der Leistungsverpflichtete die von ihm geschuldeten Erfüllungshandlungen in der Weise erbracht hat, dass ihm die Forderung auf die Gegenleistung (z.B. die Zahlung) – von den mit jeder Forderung verbundenen Risiken abgesehen – so gut wie sicher ist.

Dementsprechend sind Forderungen (§ 266 Abs. 2 B.II. HGB), insbesondere Geldforderungen aus Lieferungen und Leistungen, zu aktivieren, sobald sie (unabhängig von der rechtlichen Entstehung) wirtschaftlich in der Vergangenheit verursacht und am Bilanzstichtag hinreichend sicher sind.

Für die Bilanzierung kommt es nicht entscheidend darauf an, ob ein Anspruch bereits im zivil- oder öffentlichrechtlichen Sinne entstanden ist. Maßgebend ist bei einem erst in der Entstehung begriffenen Anspruch vielmehr, ob sich die Anwartschaft genügend konkretisiert hat und im Falle einer Betriebsveräußerung von den Vertragsparteien bei der Bemessung des Kaufpreises berücksichtigt würde. In dieser Entscheidung hat der Bundesfinanzhof weiter ausgeführt, für die Aktivierung eines Steuererstattungsanspruchs genüge es, wenn der Anspruch, dessen Realisierung sich kein Kaufmann vernünftigerweise entgehen lasse, erhoben werden könne.

So muss beispielsweise ein auf der Geltendmachung von Vorsteuer beruhender UmsatzsteuerErstattungsanspruch bereits dann aktiviert werden, wenn zunächst nur eine nicht ordnungsgemäße Rechnung vorhanden ist, sofern wie im Regelfall- nicht damit zu rechnen ist, dass der Rechnungsaussteller sich einer Berichtigung dieser Rechnung widersetzen werde. Denn die Notwendigkeit, die Rechnung berichtigen zu lassen, ist im Vergleich zum Tatbestandsmerkmal der „Ausführung der Leistung“ von untergeordneter Bedeutung und beeinträchtigt die Sicherheit der Forderung nicht in einem Maße, das in Anwendung des Realisationsprinzips eine Bilanzierung verbieten könnte.

Zivilrechtliche Ansprüche können selbst dann zu aktivieren sein, wenn sie formal noch unter dem Vorbehalt der Freiwilligkeit stehen, sofern der Kaufmann nach den Umständen des Einzelfalls bereits am Bilanzstichtag bei normalem Geschäftsablauf fest mit der Zahlung rechnen kann.

Nach diesen Grundsätzen waren die streitgegenständlichen Umsatzsteuer-Erstattungsansprüche für die Jahre 1996 bis 2001 zum 31. Dezember 2005 zu aktivieren.

Bereits zu diesem Zeitpunkt war der Anspruch realisiert. Denn der Realisierung der genannten Erstattungsansprüche standen im maßgebenden Zeitpunkt weder materiellrechtliche noch verfahrensrechtliche Hindernisse entgegen. Aufgrund der verwaltungsinternen Weisungslage war das für die Besteuerung des Klägers zuständige Finanzamt zur Anwendung der Rechtsprechung des EuGH und BFH verpflichtet. Dass die Änderung der Steuerbescheide am Bilanzstichtag noch ausstand und der Kläger seine Anträge noch nicht beziffert hatte, schließt bei dieser Sachlage eine Aktivierung der Steuererstattungsansprüche nicht aus.

Materiellrechtlich stand seit Ergehen des „Linneweber und Akritidis“-Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union, spätestens aber seit Veröffentlichung des BFH-Urteils in BFHE 210, 164, BStBl II 2005, 617 fest, dass der Kläger sich für die Steuerfreiheit seiner Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten unmittelbar auf die Richtlinie 77/388/EWG berufen konnte. Hieraus ergab sich zugleich die materiellrechtliche Fehlerhaftigkeit der gegen den Kläger ergangenen Umsatzsteuerfestsetzungen für die Jahre 1996 bis 2001.

Ebenso wenig bestanden verfahrensrechtliche Hindernisse für eine Änderung der Festsetzungen. Diese standen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und waren daher nicht in materielle Bestandskraft erwachsen. Die Änderungsanträge des Klägers vom 15.11.2001 bzw. 27.11.2003 hatten jeweils zweifelsfrei die Festsetzungsfrist gewahrt. Der nach Ablehnung der Änderungsanträge eingelegte Einspruch war in offensichtlich zulässiger Weise erhoben worden.

Mit der Veröffentlichung des BFH-Urteils in BFHE 210, 164, BStBl II 2005, 617 in der am 30.09.2005 herausgegebenen Ausgabe des BStBl. II war das Finanzamt verwaltungsintern verpflichtet, diese Rechtsprechung zugunsten des Klägers anzuwenden. Die Veröffentlichung von BFH-Entscheidungen im BStBl. II beruht in jedem Einzelfall auf einer Entscheidung der für das jeweilige steuerrechtliche Sachgebiet zuständigen Vertreter der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder. In der vorbehaltlosen Veröffentlichung einer BFH-Entscheidungen im BStBl. II liegt zugleich die Anweisung der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder an die nachgeordneten Dienststellen der Finanzverwaltung, die in der jeweiligen Entscheidung enthaltenen Rechtsgrundsätze auf gleichgelagerte Sachverhalte allgemein – über den entschiedenen Einzelfall hinaus – anzuwenden.

Damit stand aufgrund dieser noch im Jahr 2005 ergangenen Anweisung fest, dass das Finanzamt die Erstattungsansprüche des Klägers dem Grunde nach nicht mehr bestreiten würde.

Soweit das Finanzgericht formuliert hat, das Finanzamt habe sich erst nach dem Schreiben des Klägers vom 16.02.2006 mit dem „bis dahin bestrittenen“ Änderungsbegehren auseinandergesetzt, liegt darin keine den BFH i.S. des § 118 Abs. 2 FGO bindende Tatsachenfeststellung des Inhalts, dass das Finanzamt die Ansprüche des Klägers noch konkret bestritten hätte. Denn aus den vom Finanzgericht getroffenen Feststellungen zu dem Schriftverkehr zwischen dem Kläger und dem Finanzamt geht lediglich hervor, dass das Finanzamt letztmalig am 09.02.2004 – vor Ergehen der einschlägigen Entscheidungen des EuGH bzw. BFH – negativ zu dem Änderungsbegehren des Klägers Stellung genommen und sodann am 10.03.2004 das Einspruchsverfahren im Hinblick auf das anhängige Vorabentscheidungsverfahren zum Ruhen gebracht hat. Damit hat das Finanzamt aber gerade zum Ausdruck gebracht, dass es der zu erwartenden Entscheidung des EuGH vorbehaltlich anderslautender Weisungen seiner vorgesetzten Behörden- maßgebende Bedeutung für das konkrete Besteuerungsverfahren des Klägers beimisst. Dass das Finanzamt dem Änderungsbegehren des Klägers während des Ruhens des Einspruchsverfahrens, insbesondere nach Veröffentlichung des BFH-Urteils im BStBl. II, noch konkret entgegengetreten wäre, hat das Finanzgericht nicht festgestellt. Allein der Umstand, dass das Finanzamt die Steuerfestsetzungen – so das Finanzgericht – nicht „ohne Weiteres“, sondern erst nach einer Bezifferung der zuvor offenbar zahlenmäßig nicht konkretisierten Änderungsanträge durch den Kläger geändert hat, steht einem Bestreiten des Anspruchs nicht gleich.

Soweit das BMF-Schreiben vom 5. Juni 2006 für den Zeitpunkt der Aktivierung von Steuererstattungsansprüchen, die sich aus der angeführten Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergeben, abweichend von den hier dargestellten Grundsätzen nicht erst auf die Veröffentlichung der BFH-Nachfolgeentscheidung im BStBl. II abstellt, sondern bereits auf die – von der deutschen Finanzverwaltung zunächst unkommentiert gelassene – Bekanntgabe der EuGH-Entscheidung, kann dahinstehen, ob der Bundesfinanzhof dem folgen könnte. Für die Entscheidung des Streitfalls ist dies indes ohne Bedeutung, da beide Zeitpunkte im Wirtschaftsjahr (= Kalenderjahr) 2005 liegen.

Bei einer solchermaßen eindeutig für den Kläger und die problemlose Realisierbarkeit seiner Steuererstattungsansprüche sprechenden materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Lage (einschließlich verwaltungsinterner Weisungen) steht allein die noch ausstehende Umsetzung dieser Rechts- und Weisungslage in geänderte Umsatzsteuerbescheide einer Aktivierung entsprechender Forderungen nicht entgegen.

Wie bereits dargestellt, bestimmt sich die Aktivierung von Vermögensgegenständen in der Handelsbilanz und damit der Ansatz von Wirtschaftsgütern in der Steuerbilanz- in erster Linie nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Die wesentlichen wirtschaftlichen Ursachen für die Realisierung des Anspruchs waren im Streitfall mit der objektiven Klärung der materiell- und verfahrensrechtlichen Rechtslage sowie der Anweisung an die Finanzbehörden, die zugunsten der Betreiber von Geldspielgeräten ergangene Rechtsprechung allgemein anzuwenden, bereits im Jahr 2005 gesetzt. In einer solchen Situation stellt sich der Erlass der Steuerbescheide ähnlich wie die Berichtigung einer zunächst aus formalen Gründen nicht zum Vorsteuerabzug berechtigenden Rechnung- nur noch als wirtschaftlich unwesentlicher, formalrechtlicher Akt dar. Auch ein Betriebserwerber hätte zum 31. Dezember 2005 die gegen das Finanzamt gerichteten Steuererstattungsansprüche des Klägers im Rahmen der Bemessung des Unternehmenskaufpreises vergütet.

Von der hier vertretenen Auffassung geht im Ergebnis auch das BFH-Urteil vom 17. Januar 2007 aus. Dem lag der Sachverhalt zugrunde, dass das dort zuständige Finanzamt in einem Änderungsbescheid über die gesonderte Feststellung des Gewinns für das dortige Streitjahr einen Mehrgewinn aus einem GewerbesteuerErstattungsanspruch für dasselbe Jahr angesetzt hatte, der sich erst aus einem nach dem Bilanzstichtag ergangenen- Änderungsbescheid ergab. Der XI. Senat des Bundesfinanzhofs hat insoweit zur Begründung lediglich ausgeführt, der für den Steuerpflichtigen günstige- geänderte Gewerbesteuermessbescheid sei nicht angefochten worden, so dass der darauf beruhende Erstattungsanspruch bei der Gewinnermittlung zu berücksichtigen sei.

Gegenteiliges folgt nicht aus der vom Kläger und dem Finanzgericht herangezogenen Rechtsprechung des II. Senats des Bundesfinanzhfos zur früheren- Rechtslage bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens sowie im Recht der Vermögensteuer und Erbschaftsteuer.

Nach dem BFH-Urteil 15. Oktober 1997 waren Steuererstattungsansprüche, die auf höchstrichterlicher Rechtsprechung beruhten, bei der Feststellung von Einheitswerten des Betriebsvermögens für Stichtage vor dem 1. Januar 1993 als noch keine Bindung an die Steuerbilanz bestand- nicht anzusetzen.

Diese Rechtsprechung beruht indes auf den Besonderheiten des Bewertungsrechts (strenges Stichtagsprinzip), das insoweit von der stärker wirtschaftlich geprägten Betrachtungsweise des Bilanzsteuerrechts abweicht. Dies zeigt sich auch daran, dass Ansprüche auf Erstattung von Körperschaftsteuer, die auf einer erst nach dem Bewertungsstichtag beschlossenen Gewinnausschüttung beruhten, zwar nicht in einer Vermögensaufstellung für Stichtage vor dem 1. Januar 1993, wohl aber in Anwendung der ab dem 1. Januar 1993 geltenden bewertungsrechtlichen Rechtslage die mit der bilanzsteuerrechtlichen Lage übereinstimmte- anzusetzen waren.

Im Übrigen betraf das Urteil in BFHE 184, 111, BStBl II 1997, 796 einen Bewertungsstichtag, der noch vor der Veröffentlichung der die Durchsetzbarkeit des Steuererstattungsanspruchs gegenüber der Finanzverwaltung wirtschaftlich begründenden- BFH, Entscheidungen im entsprechenden Musterverfahren lag.

Eine vergleichbare Zeitfolge lag auch dem – zum Erbschaftsteuerrecht für Stichtage ab dem 1. Januar 1993 ergangenen – BFH-Urteil vom 15. März 2009 zugrunde. Zudem hatte dort das für den Einzelfall zuständige Finanzamt ebenfalls hinsichtlich der Umsatzsteuer auf Umsätze mit Geldspielautomaten- noch nach dem Ergehen einer für den dortigen Steuerpflichtigen günstigen Entscheidung des EuGH die Änderung ergangener Umsatzsteuerbescheide ausdrücklich abgelehnt, und dies darauf gestützt, dass ein früheres BMFSchreiben noch fortgelte und bisher nicht an die EuGHRechtsprechung angepasst worden sei. Erst nach Ergehen eines neuen BMFSchreibens half das dortige Finanzamt dem Änderungsbegehren ab.

Hinsichtlich der Erbschaftsteuer hat der II. Senat des BFH zudem zwischenzeitlich entschieden, dass die Notwendigkeit einer aus Sicht des Bewertungsstichtags noch vorzunehmenden Änderung von Steuerbescheiden dem Ansatz entsprechender Steuererstattungsansprüche beim steuerpflichtigen Erwerb nicht entgegensteht. Dies ist seit 2009 auch ausdrücklich in § 10 Abs. 1 Satz 3 ErbStG festgeschrieben.

Das BFH-Urteil vom 2. Dezember 2003 befasste sich für Zwecke der Vermögensteuer mit einem Steuererstattungsanspruch im Privatvermögen. Auch dort galt aber das strenge Stichtagsprinzip, das – wie dargestellt – im Bilanzsteuerrecht aufgrund des Vorrangs wirtschaftlicher Gesichtspunkte nicht anwendbar ist.

Auch der Umstand, dass der Kläger seine – vor dem Bilanzstichtag gestellten – Änderungsanträge am Stichtag noch nicht beziffert hatte, und das Finanzamt daher noch keine Prüfung der Höhe des Anspruchs hatte vornehmen können, hindert eine Aktivierung nicht.

Der Zeitpunkt, zu dem der Inhaber eines dem Grunde nach bestehenden- Anspruchs diesen zahlenmäßig beziffert, steht grundsätzlich im Belieben des Anspruchstellers. Besteht ein solcher Anspruch objektiv und liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Anspruchsinhaber auf Dauer von dessen Durchsetzung absehen werde, kann die Gewinnrealisierung nicht dadurch hinausgeschoben werden, dass ein bereits dem Grunde nach geltend gemachter und vom Anspruchsgegner nicht bzw. nicht mehr- bestrittener Anspruch der Höhe nach zunächst noch nicht konkretisiert wird.

Hierzu hat der BFH bereits ausgeführt, für die Aktivierung eines Steuererstattungsanspruchs genüge es, wenn der Anspruch, dessen Realisierung sich kein Kaufmann vernünftigerweise entgehen lasse, erhoben werden könne. Die Realisierung eines gegen das Finanzamt gerichteten Anspruchs, der materiell- und verfahrensrechtlich sowie nach der geltenden Weisungslage unzweifelhaft besteht und dessen Umsetzung in konkrete Steuerbescheide nur noch von einer Bezifferung durch den Steuerpflichtigen abhängig ist, wird sich kein Kaufmann entgehen lassen.

Im Übrigen setzt eine Gewinnrealisierung nach ständiger Rechtsprechung nicht voraus, dass bereits am Bilanzstichtag über den Anspruch zahlenmäßig- abgerechnet worden ist.

Wenn aber die noch ausstehende zahlenmäßige Konkretisierung des Erstattungsanspruchs durch den Kläger einer Aktivierung nicht entgegensteht, dann gilt dies auch für die Überprüfung dieser zahlenmäßigen Konkretisierung durch das Finanzamt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Finanzamt seine Überprüfungshandlungen an Amtsstelle oder im Wege einer UmsatzsteuerSonderprüfung vornimmt. Aus den Feststellungen des Finanzgericht ergibt sich nicht, dass die Umsatzsteuer-Sonderprüfung – die sich ohnehin allein auf das Jahr 1998 bezogen und nicht zu Beanstandungen geführt hat – zum Ziel gehabt haben könnte, über die Prüfung der Zahlenangaben des Klägers hinaus Anhaltspunkte für ein Bestreiten der Erstattungsansprüche dem Grunde nach zu ermitteln.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 31. August 2011 – X R 19/10

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